Konflikte lösen

Gefühle mitteilen,
Bedürfnisse benennen,
Verhalten ändern.

Konflikte machen uns das Leben manchmal schwer. Wie denken dann, unsere Meinungen, Ziele, Werte stünden im Widerstreit mit einander. Tatsächlich sind es aber unsere Bedürfnisse.

von: Henri Marzillier
mit Fotos von: Tanja Heffner

Konflikte sind allgegenwärtig

Urteile fällen, Vergleiche ziehen, Schuldzuweisungenen oder Forderungen aller Art an den Anderen richten - diese unerfreulichen Gewohnheiten haben sich in unser Denken und in unsere Gesprächskultur eingenistet. Im Grunde sind es Formen sprachlicher Gewalt, mit denen wir uns selbst vor Manipulation und Fremdbestimmung schützen wollen - also ein Präventivschlag, ein vorweggenommener Gegenangriff. Dabei üben wir in diesem Schutzmodus selbst Druck auf den Anderen aus und ernten Widerstand.

Im Innen wie im Außen sind Konflikte (lat. confligere = zusammenschlagen oder zusammenprallen) die Norm und nicht die Ausnahme, behaupte ich. Entweder man ist aufgrund von Glaubenssätzen, wie man zu sein habe, was man leisten müsste etc. mit selbst nicht zufrieden und kämpft permanent gegen sich selbst, oder die eigenen Bedürfnisse stehen denen eines anderen oder einer Gruppe entgegen.

Die wenigsten Konflikte werden nach meiner Beobachtung offen ausgetragen. Zwar ist die Stimmung gereizt, die Minen leer oder offen ablehnend, aber Konflikte schwelen oft lange Zeit unter einer halbwegs zivilisierten Oberfläche. Zu groß scheint die Angst aus dem Konflikt als „Zweitbester” - also als Verlierer hervorzugehen.

Dabei können Konflikte auf unterschiedliche Weise ausgetragen werden. Aus dem Tierreich sind die Strategien Flüchten, Todstellen und Kämpfen bekannt. In der Kommunikation zum Beispiel werden Konflikte im Streitgespräch mit Hilfe von Argumenten pro und contra zu einer Sache ausgetragen.

Allen Konflikten ist der Zusammenprall unterschiedlicher Ziele oder Interessen gemeinsam. Ziele werden durch Motive gesteuert. Motive dienen wiederum unseren Bedürfnissen. Als Indikatoren für befriedigte und unbefriedigte Bedürfnisse können wir unseren Gefühlen vertrauen.

Gefühle und Bedürfnisse klären

Den Zusammenhang von Gefühlen und Bedürfnissen schauen wir uns im Beitrag zum Enneagramm genauer an: Bei der Lösung von privaten oder beruflichen Konflikten kommt es vor allem darauf an, diesen Zusammenhang am konkreten Streitfall zu klären. Unterschiedliche Charakter-Typen haben unterschiedliche Kernbedürfnisse. So strebt der „Bauchtyp” nach Autonomie und Selbstbestimmung, während dem „Herztypen” vor allem an Gemeinschaft, Beziehung und Nähe gelegen ist. Um hier einen Kompromiss zu finden, müssen beide Seiten Abstriche vom Idealzustand hinnehmen. Das kann manchmal zur „Quadratur des Kreises” führen, wenn kein Konsens gefunden wird und die Verbindung toxische Züge annimmt.

Das Wohlbefinden aller Beteiligten ins Zentrum stellen

Eins der wichtigsten Erfolgsrezepte zum Führen konstruktiver, ergebnisorientierter Gespräche ist dafür zu sorgen, dass sich alle Beteiligten weitgehend wohl miteinander fühlen. Das heißt konkret, dass wir uns offen über unsere Gedanken, Wünsche, Vorstellungen und Sorgen austauschen. Damit beziehen wir unsere Gesprächspartner bewusst in unsere Gedankenwelt ein. Im Beitrag xy schauen uns an, womit wir Gespräche anregen und ausbremsen. Im Grunde geht es immer wieder darum, den Zusammenhang zwischen den eigenen Bedürfnissen und Gefühlen zu erkennen und zu vermitteln. Wir werden dabei auf die Probe gestellt:

Schaffen wir es, die Verantwortung für unser Denken, Fühlen und Handeln zu übernehmen? Gelingt es uns, Emotionen und Gefühle der anderen wahrzunehmen, ohne sie zu interpretieren oder zu bewerten? Haben wir die Kraft, nachzufragen und den Anderen dabei zu unterstützen, die eigene Gefühlslage aus einer erwachsenen Perspektive zu betrachten?

Gedanken und Gefühle auseinanderhalten

Im Alltag fällt es uns oft schwer, zwischen dem, was wir fühlen und dem, was wir vom Anderen denken, zu unterscheiden. Das Problem ist, dass wir unser Gefühl nicht von dem trennen, was wir aus dessen Verhalten schlussfolgern. Wir verwechseln unsere bewertenden Gedanken über ein Verhalten mit unserem eigentlichen Gefühl. Wir sagen zum Beispiel:

„Ich fühle mich missverstanden.”

Obwohl es so klingen mag, drücken wir mit diesem Satz nicht unser Gefühl aus. Vielmehr beschreiben wir unseren Eindruck davon, was der Andere macht, kann oder nicht kann. Anders ausgedrückt: Wir bleiben nicht bei unserem Gefühl, („Ich bin frustriert, überrascht, ärgerlich…”) sondern interpretieren das Verhalten des Anderen.

Aus einem vermeintlichen Gefühl wird so eine getarnte Du-Botschaft: „Ich fühle mich missverstanden,” - heißt im Klartext: „Du kannst oder willst mich nicht verstehen.”

Du-Botschaften enthalten Wertungen, die vom Gesprächspartner als Vorwürfe aufgefasst werden. Wir machen den Anderen für unsere Gefühle verantwortlich. Das Wort „Du” muss dabei nicht einmal im Satz vorkommen.

Selbst nicht besonders sensible Zuhörer können bei einer Serie solcher „Gefühlsäußerungen” verstimmt reagieren oder zum Gegenangriff übergehen. Statt die Verantwortung für unsere Gefühle an den Anderen zu delegieren, haben wir immer die Möglichkeit, unsere hinter diesen Gefühlen stehenden Bedürfnisse, Wünsche, Erwartungen, Werte oder Gedanken erkunden.

Eine gute Anleitung zum empathischen Sprechen bietet uns das Konzept der gewaltfreien Kommunikation: Sich selbst und die Situation beobachen, ohne in Bewertungen zu verfallen, Klarheit über Gefühle erlangen, diese ausdrücken und mit unseren Bedürfnissen verknüpfen. An unser Gegenüber können wir so eine machbare Bitte richten, indem wir sie klar und positiv formulieren. (vgl. Rosenberg) Wie das genau vonstatten gehen kann, wollen wir uns jetzt anschauen:

Empathisch sprechen in fünf Schritten

1. Beobachten und die Situation beschreiben

Beim Beobachten nehmen wir eine neutrale Position ein. Wir registrieren, wie sich die Akteure in der Situation verhalten. Das reine Beobachten erfordert, dass wir die Vorgänge, die wir wahrnehmen und beschreiben wollen, nicht mit unserer Bewertung vermischen. Wenn wir das beobachtete Verhalten bewerten, können die Angesprochenen dies leicht als Kritik auffassen und abwehren. Sie hören dann gar nicht, was wir sagen wollen.

Beispiel I: Situation beschreiben und bewerten

Peter hält es nicht für nötig, sich um den Auftrag zu kümmern, denn er hat ja den ganzen Nachmittag verschlafen.

Beispiel II: Situation beschreiben ohne zu bewerten

Peter hat den ganzen Nachmittag über geschlafen.

Unsere Beschreibung orientiert sich ausschließlich am Verhalten, das gerade passiert. Wir verallgemeinern dieses Verhalten auch nicht, sondern beziehen uns mit unserer Beobachtung ausschließlich auf die aktuelle Situation.


2. Das eigene Gefühl erkennen und mitteilen

Wir sind es gewohnt, uns an unserem Umfeld zu orientieren und fragen wir uns deshalb öfter, was die anderen wohl über uns denken, als dass wir nach unseren eigenen Gefühlen fragen.

Neben dem Mut, zu seinen Gefühlen zu stehen, brauchen wir einen entsprechenden Wortschatz, mit dem wir uns verständlich ausdrücken können. Dabei kommt es darauf an, das Gefühl möglichst klar zu benennen und nicht hinter vagen Fromulierungen zu verstecken: Erfüllen sich gerade unsere Bedürfnisse, sind wir vielleicht erfreut, begeistert oder glücklich über das, was sich in unserem Leben ereignet. Im negativen Fall sind wir traurig, ängstlich, wütend oder sprachlos, weil unsere Bedürfnisse gerade nicht erfüllt sind.


3. Das Bedürfnis identifizieren

Während materielle Bedürfnisse recht klar auf der Hand liegen, sind uns unsere psychischen Grundbedürfnisse oft nicht bewusst. Bei der Erkundung des hinter dem Gefühl stehenden Bedürfnisses wollen wir uns hier auf die drei Grundbedürfnisse Autonomie, Beziehung und Sicherheit aus dem Enneagramm-Modell (Kapitel 3) konzentrieren.
Regeln schränken mein Bedürfnis nach Autonomie und Selbstbestimmung ein. In meinen beruflichen und privaten Beziehungen habe ich das Bedürfnis, als gleichberechtigter Partner anerkannt zu sein. Wird mein Bedürfnis eingeschränkt, bin ich je nach Prägung vielleicht überrascht, enttäuscht, ängstlich oder wütend.


4. Zeigen wie Bedürfnis und Gefühl zusammenhängen

Habe ich mein Gefühl erkannt und das verletzte Bedürfnis identifiziert, kann ich beides in einen Zusammenhang bringen. Das gelingt am besten, wenn ich mein Gefühl als Wirkung mit meinem Bedürfnis als Ursache verknüpfe: Die Ursache ist, dass eins meiner Bedürfnisse verletzt ist, die Wirkung, dass ich ein bestimmtes Gefühl dabei bekomme. Ich spreche also über mein Gefühl und sage, welches Bedürfnis bei mir in diesem Moment nicht erfüllt ist:

Mein Gefühl:

„Ich bin ärgerlich, wenn ich merke, dass wir ausschließlich nach deinen Regeln arbeiten. Ich verliere dabei die Lust, mich für unser Projekt zu engagieren.”

(Gefühle = Ärger, Frustration über mangelnde Selbstbestimmung)

Mein Bedürfnis:

„Ich möchte, dass wir uns austauschen und die nächsten Schritte gemeinsam abstimmen. Ich frage mich, wer sich um welchen Bereich verantwortlich kümmert und wie wir das koordinieren wollen. Mir ist das wichtig, denn dann weiß ich, was in den nächsten Wochen auf mich zukommt.”

(Bedürfnisse = Orientierung / Sicherheit, Selbstständigkeit)


5. Eine machbare Bitte aussprechen

Dieser Schritt erfordert vom Sprecher einiges an Selbstbewusstsein, denn es ist eine Herausforderung, emotional aufgewühlt in Sekundenschnelle eine klare und noch dazu positive und machbare Handlungsanweisung zu formulieren. Wir haben schon gesehen, welche Impulse unser „Bedürfniszentrum” in Aufruhr versetzen können und mit welchen Gefühlen wir darauf reagieren. Gleich die nächste Herausforderung besteht für uns darin herauszufinden, was wir uns vom Anderen stattdessen wünschen und ihn darum auch noch freundlich zu bitten. Außerdem haben wir vielleicht nicht nur ein Bedürfnis, sondern wohlmöglich ein ganzes Bündel an Bedürfnissen, auf die wir stets achten.

Gespräche sind - wenn wir es richtig anstellen - auch dazu geeignet, uns über unsere eigenen Bedürfnisse im konkreten Fall besser klar zu werden. Hier ist also auch Hilfe in Aussicht.

Dabei setzen wir auf die Anteilnahme und Empathie des Anderen. Das ist, wie immer, ein Geben und Nehmen: Indem wir von unseren Gefühlen und den dahinterstehenden Bedürfnissen berichten, ziehen wir den Anderen ins Vertrauen. Wir versorgen ihn zugleich mit unseren Vorstellungen und Bildern. Wir treten mit ihm in Beziehung. Das entlastet ihn davon, eigene Vorstellungen und Bilder zu entwerfen, die logischer Weise aus seiner Erlebniswelt stammen und mit unseren eigenen nicht übereinstimmen müssen.

Wollen wir zu einer gemeinsamen Übereinkunft kommen, ist es mit dem Mitteilen unserer Gefühle und Bedürfnisse noch nicht getan. Ein wirklich klares Ergebnis können wir erzielen, indem wir fragen, ob er oder sie dazu bereit ist, unsere Bitte zu erfüllen:

Meine Bitte:

Können wir uns bitte morgen Vormittag eine halbe Stunde Zeit nehmen und darüber sprechen?

Mit unserer Frage stellen wir einerseits sicher, dass unserer Gesprächspartner uns gehört und verstanden hat, und andererseits fragen wir konkret nach, ob er bereit ist, unseren Wunsch zu erfüllen. Indem wir unseren Vorschlag möglichst konkret machen und ihm zum Beispiel Thema, Zeitpunkt und Dauer des Gesprächs nennen, geben wir ihm eine Vorstellung davon, was ihn erwartet und was wir uns von ihm wünschen, damit unser Bedürfnis erfüllt ist.

Der Unterschied zwischen der Gesprächsbremse „Forderung” und einer aufrichtigen Bitte ist, dass wir dem Anderen freistellen, auf unseren Vorschlag einzugehen oder nicht. Wenn der Andere unsere Bitte ablehnt, ist das für uns sicher nicht angenehm. Verzichten wir aber darauf, ihm deshalb Schuldgefühle zu machen, wird klar, dass wir bitten und nicht von ihm fordern. Wir können deutlich machen, dass wir nur dann die Zustimmung des Anderen möchten, wenn er sie uns freiwillig gibt:

Meine Frage nach der Machbarkeit:

Was denkst du darüber? Ist das für dich machbar?

Wichtig ist hier, dass der Andere die klare Botschaft erhält, dass es in seinem Ermessen liegt, unserer Bitte zuzustimmen oder sie abzulehnen. Bekommen wir eine Absage, heißt das nicht, dass wir unser Anliegen sofort aufgeben müssen. Stattdessen können wir empathisch nach den Gründen fragen, die ihn zögern lassen. So erfahren wir, welches seiner Bedürfnisse unser Vorschlag verletzt. Ziel der empathischen Kommunikation ist es, Beziehungen aufzubauen, die auf Offenheit und Mitgefühl (Empathie) gegründet sind.

„Wenn andere darauf vertrauen können, dass unser vorrangiges Anliegen die Qualität der Beziehung ist und dass wir davon ausgehen, dass der Prozess dazu da ist, alle Bedürfnisse zu erfüllen, dann können sie auch darauf vertrauen, dass unsere Bitten keine getarnten Forderungen, sondern tatsächliche Bitten sind.” (Marshall B. Rosenberg)

Bedürfnisse kann ich auf verschiedenen Wegen befriedigen

Die Bedürfnisse nach Bindung und das Selbstbestimmung stehen im Widerspruch zu einander: Einerseits wollen wir uns einer Gemeinschaft zugehörig fühlen, an deren Regeln wir uns andererseits anpassen müssen. Wir wollen unser Leben selbstbestimmt führen und die Kontrolle über die für uns wesentlichen Dinge behalten. Um beide Bedürfnisse zu befriedigen, müssen wir Zugeständnisse machen und Kompromisse aushandeln.

Oft zeigt es sich, dass es mehrere Wege gibt, Konflikte zu lösen. Wenn wir von unseren ursprünglichen Vorstellungen abweichen, lernen wir, uns flexibel auf neue Situationen einzustellen. Wir sind aufgefordert, unsere Gewohnheiten zu überprüfen und andere Möglichkeiten zu entdecken.

Wir haben gesehen, dass Gefühle stets den Umweg über unsere Bedürfnisse nehmen. Je ehrlicher und treffender ich mein Gefühl beschreiben kann, desto mehr helfe ich meinen Gesprächspartnern, auf meine dahinter stehenden Bedürfnisse einzugehen und einen für alle Beteiligten zufriedenstellenden Kompromiss zu finden.

Fazit

  • Wenn ich konstruktive Gespräche führen will, achte ich darauf, dass ich die Werte und Prinzipien meiner Gesprächspartner erkenne, anerkenne und wertschätze. Das heißt nicht, dass ich mich diesen Werten unbedingt anschließen muss. Ich beobachte, welche Gedanken und Gefühle sich in der Situation bei mir einstellen.
  • Mir ist bewusst, dass meine Gedanken Ergebnis meiner subjektiven Bewertung der Situation sind. Sie sind keinesfalls allgemeingültig. Ich interpretiere, bewerte und vereinfache aus meinem Erfahrungsspektrum heraus. Damit folge ich meinem Bedürfnis nach Orientierung. Diese Überlegung hilft mir, meine Gedanken und Gefühle auseinander zu halten.
  • Mein Gefühl entsteht aufgrund meiner Bedürfnisse und meiner Prägung. Dieses Gefühl kann ich im Gespräch mitteilen. Damit mich mein Gegenüber besser nachvollziehen kann, erläutere ich den Ursache-Wirkung-Zusammenhang zwischen meinem (erfüllten oder nicht erfüllten) Bedürfnis und dem daraus resultierenden Gefühl.
  • Damit ich mich besser fühle, formuliere ich eine Bitte, um ein bestimmtes Verhalten, das mein Bedürfnis erfüllt. Ich bitte meinen Gesprächspartner, mir meinen Wunsch und damit mein Bedürfnis freiwillig zu erfüllen. Ich frage, ob er oder sie bereit ist, mir diesen Wunsch zu erfüllen, damit klar ist, dass es eine freiwillige Sache ist.
Literatur:
Marshall B. Rosenberg: Gewaltfreie Kommunikation, Paderborn, 2016
Fotos:
Tanja Heffner via unsplash

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