Positiv Denken
Lieber halbvoll, als halbleer
Wenn wir unsere Wahrnehmungsfilter wechseln, können wir die Macht des positiven Denkens in allen Lebensbereichen nutzen.
von: Henri Marzillier
mit Fotos von: Kim Leary, ckturistando, Henri Meilhac, Ben Wicks, Brooke Cagle und Daoudi Aissa
Positives Denken
Wer demonstrativ konsequent-positiv denkt, wird oft als naiv belächelt. Kein Wunder bei den Prägungen, die die meisten Menschen erfahren haben und all den schaurigen Geschichten, die täglich auf uns einströmen! Dabei ist positives Denken ist dort beheimatet, wo Fortschritt und Entwicklung stattfinden. Auch wer andere überzeugen und motivieren möchte, denkt und spricht am besten gleich positiv.
Was bedeutet es eigentlich genau, positiv zu denken?
Positiv denken bedeutet, dass wir unsere Aufmerksamkeit auf die positiven Aspekte einer Sache lenken.
Wir können auch sagen, wir denken konstruktiv, aufbauend, lösungsorientiert und kompromissbereit. Positiv denken heißt auch, dass wir die Realität oder negative Konsequenzen einer Situation im Blick behalten. Jedes Ereignis, jede Entscheidung hat positive und negative Seiten. Der Fokus bleibt einfach auf dem Positiven.
Unsere Energie folgt unserem Fokus.
Der Aspekt einer Sache, dem wir unsere Aufmerksamkeit widmen, wächst in unserer Wahrnehmung. Sehen wir die Vorteile, die sich aus der Situation ergeben, steigt unsere Energie (=Stimmung). Das funktioniert genauso gut umgekehrt. Wir können uns also bewusst entscheiden: Sowohl Optimisten als auch Pessimisten haben jeweils recht, wenn sie glauben, etwas erreichen oder nicht erreichen zu können. Verantwortlich dafür sind Glaubenssätze, die unser Handeln steuern.
Glaube und Glaubenssätze
Wir sprechen oft über Dinge, ohne eine klare Vorstellung von ihnen zu haben. „Robert ist ein erfahrener Radsportler.” oder „Sabine hat kein Talent als Pianistin.” Viele sehen ihren Glauben als persönliche Überzeugung, obwohl es sich lediglich um ein „Gefühl von Gewissheit” (Robbins) handelt, dass sich eine Sache so verhält, wie sie ihnen erscheint.
Es ist dem Energiespar-Modus unseres Gehirns geschuldet, dass wir manche Zusammenhänge einfach nicht hinterfragen wollen. Pessimisten sammeln Argumente für ihre Annahmen und sind am Ende überzeugt, dass ihr Glas halbleer ist. Dem Optimisten geht es genauso, wenn er glaubt, sein Glas wäre halbvoll. Beide bestätigen ihren Glauben, indem sie entsprechende Erfahrungen selbst kreieren.
Unsere Alltagssprache ist oft negativ geprägt
Die „Neins” der Kindheit haben uns so sehr geprägt, dass sie uns heute als selbstverständlich und gar nicht mehr als fragwürdig auffallen.
Frage ich einen Bekannten auf der Straße, wie es ihm denn so geht, bekomme ich zur Antwort: „Ich kann nicht besser klagen.”
Spreche ich einen Kollegen auf einen Auftrag an, sagt er: „Im Moment habe ich mehr zu tun, als mir lieb ist, aber ich will ja nicht jammern”.
Denke ich selbst über meine eigenen Ergebnisse nach, höre ich mich sagen: „Das war ja gar nicht schlecht”.
In allen Formulierungen steckt ein mehr oder weniger gut kaschiertes „Nein”. Was wir über uns selbst denken, strahlen wir auf allen Kanälen auch aus.
Worte werden zu Bildern konvertiert
Unsere Vorstellungskraft ist immer schneller als unser Verstand (Wie entstehen Gefühle eigentlich?). Klare, eindeutig zuordenbare Beschreibungen werden sofort in Bilder gewandelt. Die Datenverarbeitung unseres Gehirns ignoriert dabei Informationen, in denen Verneinungen enthalten sind:
Wenn wir nicht an den rosa Elefanten denken sollen, machen wir genau das.
Wenn wir eine Landschaft „ohne Baum” zeichnen sollen, sehen wir den verbotenen Baum trotzdem, auch wenn wir ihn dann nicht zeichnen. Hören wir den Kollegen sagen, er wolle ja nicht jammern, sehen wir ein jammerndes Häufchen Unglück vor unserem geistigen Auge.
Wir vergleichen einen neuen Impuls mit unseren Erfahrungen. Ein inneres Bild entsteht, das wir interpretieren. Hieraus bildet sich ein Gefühl, welches unser Verhalten steuert.
Ziele positiv formulieren
Deshalb ist es so wichtig, dass wir Ziele positiv formulieren - also das, benennen, was wir anstreben und nicht das, was wir vermeiden wollen. Sagen wir „Ich möchte nicht mehr so viel arbeiten” klingt das zwar verständlich. Allerdings sage ich hier nur, was ich nicht mehr will. Warum ich das nicht mehr will – das Motiv hinter meinem Ziel - benenne ich nicht.
Bei Zielen das positive Ergebnis formulieren!
Nehme ich mir stattdessen vor, in der Woche fünf Stunden mehr Sport zu treiben oder mehr Zeit mit Familie und Freunden zu verbringen, habe ich einen Wunsch formuliert, aus dem ich ein konkretes positives Ziel machen kann.
Positives Botschaften absenden
In konkreten Alltagssituationen macht es einen großen Unterschied, welches Vorzeichen mein Grundsignal hat.
Ich kann meinem Kind zum Beispiel sagen:
„Pass auf, dass du dich heute nicht erkältest!”
Damit lenke ich den Fokus auf mögliche Gefahren. Für mein wohlmeinendes, fürsorgliches „Eltern-Ich” mag dieser Satz vielleicht einen akzeptablen Grund haben. Durch meinen Appell „Pass auf…!” sage ich dabei auch nicht, was das Kind machen kann, damit es sich nicht erkältet.
Ein positiv formulierter Appell vielleicht so klingen:
„Achte bitte darauf, dass du warme Sachen dabei hast!”
Das hört sich in den Ohren des Kindes vielleicht ganz ähnlich an. Ich habe ihm jedoch eine andere, eine positive Botschaft mit auf den Weg gegeben.
Die Chancen stehen damit wesentlich besser, dass es sich an diese positive Botschaft erinnert. Darüber hinaus sage ich auch, ich glaube daran, dass du selbstständig bist und darauf achtest, dass du „warm angezogen” bist. Damit übertrage ich dem Kind ein Stück Verantwortung für die eigene Gesundheit. Das wären dann schon zwei positive Botschaften in einem Satz!
Kritik im Wechsel mit positiven Gefühlen kommt besser an
Richten wir unsere Aufmerksamkeit auf die nicht erfüllten Erwartungen, bleibt unsere Kritik einseitig und destruktiv. Damit gelingt es uns lediglich, das Selbstvertrauen des anderen zu untergraben. Indem wir im Bild des Scheiterns verharren, schwächen wir zudem seine Motivation zu einer Verhaltensänderung.
Die US-amerikanische Psychologin Irene C. Kassorla vergleicht einseitige Kritik mit „einarmigem Schwimmen”. Sie fragt, warum wir beim Kritisieren nur die Hälfte unserer kommunikativen Fähigkeiten nutzen. Sie schlägt statt dessen vor, die Kraft beider „emotionalen Arme” zu nutzen: Der linke Arm repräsentiert unseren Ärger und der rechte Arm die positiven Gefühle, die wir für unsere Gesprächspartner hegen.
Hierzu empfiehlt sie, mit dem rechten Arm, also den positiven Dingen zu beginnen und dann abwechselnd unserem Ärger Luft zu machen, um im nächsten Satz wieder etwas Gutes zu sagen. Sie rät auch dazu, den rechten Arm deutlich öfter zu benutzen. Kassorla gibt uns zu Bedenken:
„Wenn Sie Erfolg haben wollen, sind die auf die Hilfe Ihrer Partner und Freunde angewiesen. Sie dürfen nie vergessen, dass der Mensch neben Ihnen ein zerbrechliches, kindliches Ego hat, und dass Sie ihn sanft behandeln müssen.” (Irene C. Kassorla)
Positives Denken beginnt bei uns selbst
Denke ich grundsätzlich positiv über mich selbst, führe ich ein ausgeglichenes Leben mit mir selbst und bin auch weniger anfällig für äußere Anfeindungen. Oft kritisiere ich mich selbst, da ich meinen eigenen Ansprüchen wieder einmal nicht genüge.
Meine innere Stimme meldet sich in ihrer gehässigen Art und fängt an, alles niederzumachen. Ich habe immer die Wahl, ob ich dem, was ich mir selbst manchmal einrede, Glauben und Aufmerksamkeit schenken will, oder ob ich mich dafür entscheide, lieber meine positiven Eigenschaften im Blick zu behalten.
Die eigenen Ansprüche an uns selbst überprüfen
Oft sind das gar nicht meine eigenen Ansprüche, sondern die meiner früheren oder aktuellen Bezugspersonen, die mich in bestimmte Rollen drängen wollen und von mir Dinge erwarten, wie ich sein sollte oder was ich noch leisten müsste, damit ich in ihren Augen „gut” bin.
Beim Umgang mit den inneren Stimmen bewährt sich die als „The Work” bekannte Methode der US-amerikanischen Autorin Byron Katie. Sie fordert uns auf, unsere Überzeugungen mit folgenden vier Standardfragen zu klären:
- Ist es wahr?
- Kannst du mit absoluter Sicherheit wissen, dass es wahr ist?
- Wie reagierst du, wenn du diesen Gedanken glaubst?
- Wer wärst du ohne den Gedanken?
Mit dieser Methode lassen sich Automatismen unterbrechen, die bei inneren Konflikten sonst automatisch anlaufen.
Ich glaube, der erste Schritt zur Veränderung ist, dass wir uns bewusst machen, was genau wir ändern wollen. Wenn wir die Symptome erkannt haben, können wir nach deren Ursachen forschen. Viele Gewohnheiten sind überraschend hartnäckig. Wenn wir das akzeptieren, widerstehen wir dem Versuch, unsere anfänglich vielleicht erfolglosen Bemühungen schon nach kurzer Zeit wieder aufzugeben.
Fazit
- Positives Denken ist konstruktiv, kompromissbereit und lösungsorientiert. Wer positiv denkt, tritt für etwas ein, ohne negative Aspekte zu ignorieren.
- Wir glauben gern an Dinge, die wir glauben wollen. Damit bestätigen wir unser Weltbild, ohne die tatsächlichen Ursache-Wirkung-Zusammenhänge zu hinterfragen. Wir fassen unsere Glaubenssätze lieber in Metaphern zusammen. Damit ersparen wir uns die Mühe, ins Detail gehen und unsere Meinung am Ende noch ändern zu müssen. Unser Bedürfnis nach Bestätigung ist oft größer als die Bereitschaft, unser bestehendes Urteil zu korrigieren.
- Unsere Alltagssprache ist mit negativen Worten durchsetzt. Das Negative fällt uns gar nicht mehr auf, so sehr haben wir uns daran gewöhnt. Worte werden zu Bildern, Bilder lösen Gefühle in uns aus, Gefühle steuern unser Verhalten. Auch deshalb ist es sinnvoll, angestrebte Ziele in positiven Worten zu formulieren.
- Mit positiven Worte vermitteln anderen positive Bilder, die sie zum Handeln motivieren. Wir führen ihnen damit zugleich ihre Entscheidungsfreiheit und unser Vertrauen in ihre eigene Lösungskompetenz vor Augen.
- Positives Denken beginnt bei uns selbst. Haben wir das Gefühl, unseren eigenen Ansprüchen nicht zu genügen, können wir diese Ansprüche kritisch hinterfragen und Ballast abwerfen.