Gespräche führen

Verbindung und Verständigung

Beim Reden ist es wie wie beim Tanzen - beim jeglichem Informationsaustausch braucht es Zuwendung und den Willen zur Verständigung. Wer führt, bestimmt die Richtung. Wer geführt wird, geht darauf ein. Anders als beim Tanzen, wechseln wir im Gespräch die Rollen.

von: Henri Marzillier
mit Fotos von: Alvin Mahmudov, Alexander Mass

Kommunizieren bedeutet Teilnehmen

Ob wir beim Informationsaustausch zum gewünschten Ergebnis kommen oder nicht, hängt von unserer Fähigkeit ab, auf andere einzugehen. Das lateinische „communicare” heißt wörtlich, die Anderen teilnehmen lassen, eine Sache gemeinsam machen. Erfolgreiche Kommunikation muss deshalb zirkulär verlaufen:


In regelmäßigem Rollentausch zwischen Empfänger und Sender „erzeugen” wir die gemeinsame Information. Hierbei tasten sich beide Partner wie beim Tanzen von einer Gemeinsamkeit zur nächsten. Zeigt einer der Partner kein Gespür für seinen Partner, ist der gemeinsame Austausch, der gemeinsame Tanz unterbrochen.

Kommunikation auf vier Ebenen

Unsere Botschaft besteht nicht nur aus dem, was wir sagen. Wir teilen dabei auch etwas über unsere Befindlichkeiten mit. Jede unserer Mitteilungen enthält - ausgesprochen oder nicht:

  • einen Sachanteil,
  • einen Selbstoffenbarungsanteil,
  • einen Beziehungsanteil und
  • einen Appellanteil

Mit diesem „4er-Pack” machen wir nicht nur deutlich, worum es uns geht, sondern auch wie es uns selbst gerade geht, wie wir den Anderen sehen und was wir von ihm erwarten. Damit wir uns austauschen können, müssen wir unsere Gedanken und Absichten in wahrnehmbare Zeichen (Worte, Sätze, Mimik, Gesten etc.) verwandeln.

„Sobald ich etwas von mir gebe, gebe ich etwas von mir. Jede Nachricht enthält (auch) eine Selbstoffenbarung - dies ist ein existentielles Phänomen, durch das jedes Wort zum Bekenntnis und jede Äußerung zur Kostprobe der Persönlichkeit wird.” (Friedemann Schulz von Thun)

Nachrichten ohne Gebrauchsanweisung

Wir senden unsere Nachricht ohne „Bedienungsanleitung”, mit der wir möglichen Missverständnissen vorbeugen könnten. Das Gegenüber empfängt unsere Worte auch auf allen Ebenen und macht eine eigene Version daraus. Tonlage, Körperhaltung, Mimik und Gesten liefern ihm zusätzliche Anhaltspunkte und laden zu Interpretationen ein.


Das Ergebnis ist abhängig von Glaubenssätzen und Erfahrungen unseres Gesprächspartners mit uns. Unsere Botschaft wird auf individuelle Weise interpretiert. So können schnell Missverständnisse entstehen.

Warum Kommunikation oft nicht funktioniert

Der eine hat das gesagt, der andere hat jenes gehört. Kann sein, dass manche Signale bei unserem Gesprächspartner nicht ankommen, oder dass er aus unseren Worten einen Vorwurf heraushört, den wir gar nicht beabsichtigt hatten.

Wenn unsere Botschaft anders angekommt, als wir sie gesendet haben, kann das verschiedene Gründe haben. Neben Verständigungsschwierigkeiten aufgrund unterschiedlicher kultureller oder sozialer Prägung sind vor allem drei Faktoren dafür verantwortlich:

1.Glaubenssätze:
Sender und Empfänger haben unterschiedliche Selbstbilder

Ein pessimistischer Empfänger betrachtet alle Nachrichten eines optimistischen Gesprächspartners durch seine negativ getönte Brille. Er hält nach dem vermeintlichen Haken an der Sache Ausschau und hört die Nachricht nicht eins zu eins. Er gibt ihr eine Bedeutung, die in seine Glaubenswelt passt.

2.Gedankenlesen:
„Ich weiß, was du meinst, wer du bist und was du denkst…”

Je besser wir jemanden zu kennen glauben, desto leichter fällt es uns, dessen Gedanken zu erraten - Situationen und Verhalten scheinen sich zu wiederholen.
Fremde „erkennen” wir an ihrer äußeren Erscheinung. Wir schnappen ein paar Sätze auf und können sogleich einschätzen, was mit dem Anderen los ist. Unsere Vorurteile „helfen” uns beim Interpretieren: Ein Punker ist auf Krawall aus, ein Wutbürger sucht die Schuld am System, eine ältere Dame isst gern Kuchen und hat keine Ahnung von digitaler Kommunikation…

3. Wechsel der Bezugsebene:
Die Nachricht hat für den Empfänger weitere Nachrichten im Schlepptau

Wenn wir sagen: „Ich war traurig, dass wir uns gestern nicht gesehen haben”, sagen wir eigentlich nichts Schlechtes über den Anderen, sondern benennen unser Gefühl (Trauer). Das sind Sach- und Selbstoffenbarungsebene unser Nachricht.

Doch unser Gesprächspartner hört vielleicht: „Du bist schuld daran, dass ich jetzt traurig bin.” Das ist die Beziehungsebene - und auf der Appellebene hört er vielleicht noch: „Mach‘ das bloß nicht noch einmal…” Wie mag wohl seine Antwort nach dem Dekodieren der Nachricht ausfallen? Wahrscheinlich geht er in die Verteidigung. Das Problem liegt im Ebenenwechsel. Unser Gesprächspartner hört die Nachricht nicht auf der Selbstoffenbarungsebene.

Empfänger gestalten den Inhalt von Nachrichten

Eigene Glaubenssätze, das Lesen von Gedanken oder der Wechsel in einen andere Bezugsebene machen Kommunikation kompliziert. Als Empfänger gestalten wir den Inhalt von Nachrichten.

Drei verschiedene Vorgänge laufen in uns ab:

  1. Wir nehmen die Nachricht wahr. Wir hören und sehen etwas.
  2. Wir interpretieren das Gehörte und Gesehene. Wir legen unsere eigene Bedeutung in die empfangene Nachricht
  3. Wir fühlen uns. Wir fühlen, welche Gefühle unsere eigene Interpretation der Nachricht in uns freisetzt.

Was wir sehen, hören, interpretieren und fühlen ist, aufs Ganze betrachtet, weder richtig noch falsch. Es ist das, was wir aus der Nachricht gemacht haben. Das, was wir am Ende fühlen, ist also zum größten Teil in unserem Denken entstanden. Das heißt, wenn ich durch die Nachricht plötzlich in Wut gerate oder traurig werde, kann ich mir zuerst sagen, es ist meine Interpretation, bevor ich lospoltere (vgl. Schulz von Thun).

Unsere Fantasie hilft beim Verstehen

Die Schwachstelle beim Dekodieren von Nachrichten ist, dass wir sie interpretieren, wenn wir keine eindeutigen Hinweise auf ihre Bedeutung bekommen. Dabei füllen wir die Leerstellen einfach mit eigenen Gedanken.

Aus dem Bedürfnis nach Sicherheit und Orientierung heraus sorgen wir unbewusst dafür, dass wir Klarheit über die Beweggründe des Anderen bekommen.

Anstatt sofort nachzufragen, bleiben wir in unseren Fantasien gefangen, weil wir sie nicht zur Sprache bringen.

Behalten wir unsere Vermutungen für uns, unterbrechen wir den Austausch mit unserem Gesprächspartner. Das Unerfreuliche dabei ist, dass wir unseren vielleicht unwahren Fantasien ausgeliefert sind. Wir legen ein entsprechendes Verhalten an den Tag und erhalten eine entsprechende Reaktion darauf.

Auf diese Weise schaffen wir unsere eigene Realität, in der sich unsere Annahmen wie von selbst erfüllen. Die Kunst besteht in diesen Momenten darin, inne zu halten und sich zu fragen, ob wahr ist, was ich gerade denke, wie ich gerade über den Anderen urteile (Byron Katie).

Nachfragen lösen Missverständnisse auf

Tauschen wir uns über unsere inneren Regungen und Gedanken aus, lernen einander immer besser kennen und (einzu-) schätzen. Indem wir darüber sprechen, wie was von wem gemeint war, betreiben wir Metakommunikation.

Voraussetzung hierfür ist allerdings das gegenseitige Eingeständnis, dass unsere Interpretationen zutreffend oder nicht zutreffend sein können. Wir gehen also nicht von Gewissheiten aus, sondern bleiben im Frage- und Abstimmungsmodus. Damit eröffnen wir uns die Chance, uns „richtig” zu verstehen. Beide Seiten sprechen offen aus, welche Gedanken sie bewegen. Dazu gehört auch, dass wir Vorwürfe, die wir heraushören, offen ansprechen.

Bei vier Ebenen, auf denen wir senden und empfangen bedarf es eines wachen Bewusstseins, Missverständnissen auf den Grund zu gehen. Das schützt die Beteiligten davor, alle möglichen Äußerungen auf sich selbst zu beziehen. Wenn wir Interesse an der Verbesserung unserer Beziehungen haben, lohnt sich der erhöhte Energieaufwand, der hierzu anfangs erforderlich ist.

Fazit

  • In der zwischenmenschlichen Kommunikation tauschen wir stets Informationen über uns selbst aus. Jede unserer Nachrichten enthält Informationen auf vier unterschiedlichen Ebenen. Sprechen wir über eine Sache, teilen wir durch die Art und Weise, wie wir sprechen, das Gesicht verziehen oder gestikulieren auch mit, wie es uns selbst gerade geht, wie wir unsere Beziehung zum Anderen einschätzen und was wir konkret von ihm wollen.
  • Nachrichten kommen bei uns als Empfänger ebenfalls auf den vier Ebenen an. Beim Dekodieren legen wir unsere eigenen Bedeutungen in die Worte des Absenders. Fehlende Inhalte ergänzen wir in unserer Fantasie. Das, was wir hören, fühlen und antworten, ist Produkt unseres eigenen Vorstellungsvermögens.
  • Behalten wir unsere Vermutungen über die empfangene Nachricht für uns, besteht die Gefahr, dass Fehleinschätzungen unerkannt bleiben. Wir schaffen uns durch unser Verhalten eine eigene Realität, die mit der unseres Gesprächspartners nicht übereinstimmt. Dadurch, dass wir die Unklarheiten im Gespräch nicht auflösen, erfüllen sich unsere Annahmen wie von selbst.
  • Missverständnisse können wir durch Metakommunikation aufklären, indem wir über unsere Gedanken, Einschätzungen und Schlussfolgerungen offen sprechen und so mit unserem Gesprächspartner im gegenseitigen Austausch bleiben.

Das e-Book „Immer die richtigen Worte finden” - bewusst Kommunikationverändert deine Beziehungen

Dieser Beitrag ist ein Auszug aus meinem E-Book „Immer die richtigen Worte finden”. Nähere Informationen finden sich unter www.marzillier.com/ebooks-lesen.
Literatur & Inspiration:
Jürgen Werner, Ulf Tödter: Kommunikation - wirkungsvoll miteinander sprechen, Berlin 2010
Friedemann Schulz von Thun: Miteinander reden 1-3, Reinbek bei Hamburg, 2003
Byron Katie, Stephen Mitchell: „Lieben was ist”, München 2002
Fotos:
n.N.

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